10.11.2007

Einleitung - Abschnitt 2 (p. 4 - 14)

CT stellt klar, daß er sich in ASA nicht mit Glaubensinhalten befasst (wenigstens nicht primär) und auch nicht mit ihrer Widerlegung durch die Wissenschaft, die Vernunft oder bestimmte Wissenschaften, wie sie oft für die Säkularität 2 als ursächlich gesehen wird.

[Diese Erklärung der Säkularität 2 greift CT zu kurz: Denn z. B. der Schluß von einer darwinistischen Widerlegung der Bibel zur Zurückweisung der christlichen Religion scheint ihm nicht zwingend gewesen zu sein; es muß noch andere Gründe gegeben haben, daß Menschen im Ende des 19. Jahrhunderts ihren Glauben verloren.]

Der Fokus soll auf den unterschiedlichen Arten von gelebter Erfahrung liegen, wie sie in die Deutung des eigenen Lebens eingehen, darauf, was es heißt, als Glaubender oder Ungläubiger zu leben. CT wählt nun eine allgemeine Begrifflichkeit, um die Gestalt eines religiösen/moralischen Lebens zu beschreiben: Er spricht von Erfahrungen der Fülle (fullness), die uns in großen oder kleinen, bemerkenswerten oder alltäglichen Momenten begegnen und die uns helfen, unserem Leben eine Richtung zu geben - oder auch den Verlust der Richtung zu erfahren, die Entfernung von dem Ort der Fülle, das Exil, die Abwesenheit, den Verlust dieser Fülle. Und dann gibt es auch eine stabile Mittellage (stabilized middle condition), von der aus wir Bedeutsames tun, das gewöhnliche Glück erleben, zu dem beitragen, was wir als gut sehen.

In einem analogen Sinn kann auch das Leben eines Ungläubigen mit Hilfe dieser Begriffe beschrieben werden, auch wenn die Fülle für ihn vielleicht nicht woanders ist als die Mittellage, sondern in dieser gefunden und gesucht werden will - oder dort vermisst wird.

Für den Gläubigen jedenfalls lässt sich die Fülle nicht ohne Referenz auf Gott beschreiben, auf etwas oder jemand, der hinter dem menschlichen Leben, hinter der Natur steht. Diese Fülle wird dabei oft oder typischerweise als etwas gesehen, was empfangen wird, das auf den Menschen zukommt und das ihn öffnet, verwandelt, aus seinem Selbst herausholt. Auf das er aber auch aufmerkt, dem er sich in Gebet und Nächstenliebe öffnet.

Moderne Ungläubige stehen vor einer anderen Aufgabe, denn "the power to reach fullness is within". CT geht auf die Kantsche und andere naturalistische Varianten ein, die auf die Kraft der Vernunft für ein moralisches Leben vertrauen, und spricht auch von jenen Arten des Unglaubens, die die Kraft zum richtigen Leben, zum Erreichen der Fülle nicht von der Vernunft erwarten, sondern von woanders: aus der Natur, aus der Verbindung mit den inneren Tiefen.

Und dann gibt es eine dritte Art von Unglauben (unbelief), wie in manchen Spielarten des Postmodernismus, der den Trost des Glaubens wie des Unglaubens bestreitet und stattdessen die Tiefe der Trennung, des Verlusts der Mitte betont. Er scheint außerhalb der Definition der Fülle zu stehen und doch zieht er seine Kraft auch aus unserem Vermögen, mutig standzuhalten, das Unabänderliche auszuhalten.

In der Situation der Moderne leben wir unsere religiös-moralische Erfahrung so, daß wir anderen über die Schulter schauen: wir wissen, daß es neben uns andere Arten gibt, Kraft, Fülle, Verbannung zu erleben. In der Moderne ist die Möglichkeit verloren gegangen, ein bestimmtes Konstrukt eines moralischen/spirituellen Lebens naiv, als unmittelbare Realität zu erleben.

"Wir alle lernen, zwischen zwei Standpunkten zu navigieren: einem 'engagierten', in dem wir so gut wie möglich jene Realität leben, für die uns unser Standpunkt öffnet, und einem 'disengagierten', in dem wir fähig sind, uns selbst zu sehen, wie wir einen Standpunkt unter vielen mögichen einnehmen, mit denen wir auf verschiedene Art und Weise koexistieren müssen." (12)

Aber noch mehr: Von einer Situation, in der religiöser Glaube die Standordoption war (nicht nur für die "Naiven) sind wir in einer Situation angekommen, in der Versionen des Unglaubens für mehr und mehr Leute die einzig plausiblen sind, mindestens auf den ersten Blick

Das gilt nicht in allen Milieus und Gesellschaftssegmenten, die sehr verschieden von einander sein können. Vor die Vorentscheidung für den Unglauben herrscht in immer mehr Milieus vor, und hat in wichtigen eine Hegemonie erlangt

In anderen Worten: Der Glaube an Gott ist nicht dasselbe im Jahr 1500 und im Jahr 2000. Es geht nicht zuerst um interne Verschiebungen im Glaubensgefüge der christlichen Orthodoxie, sondern um solche im whole background framework in which one believes or refuses to believe in God. Diese Veränderungen im Hintergrund sind das, was CT Säkularity in my third sense nennt.

Wir müssen - so CT - nicht nur die Unterschiede der Glaubensbekenntnisse zwischen der religiösen und der ungläubigen Option verstehen, sondern auch diejenigen in der Erfahrung und Sensibilität.

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